Tageblatt Article on PJ @ Luxembourg National Theater
Heute hier, morgen da
Eineinhalb Stunden verfliegen wie zehn Minuten, und selbst der Automatenkaffee schmeckt irgendwie nach Zaubertrank. Ein wenig high verlässt man das Theater schon – nach einem Gespräch mit Pierre Joris. Die Droge? Na, die Sprache.
Er wohnt nicht in Luxemburg, sondern in New York. Und er ist eigentlich kein Theatermensch, sondern in erster Linie Dichter. Der diesjährige „auteur en résidence“ des TNL ist schon etwas ganz Besonderes. Ein Gespräch mit Pierre Joris lässt einige Bruchteile erkennen, aus denen sich diese Persönlichkeit, die u.a. Paul Celan ins Englische übersetzte, mit Janis Joplin und Allen Ginsberg in New York wilde Feste feierte und nun hier in Luxemburg sitzt und über Flüchtlinge und Nomadentum redet, zusammensetzt. Er lebt in keinem Elfenbeinturm, sondern nimmt an der Welt in all ihren Dimensionen teil, ist ständig in Bewegung, ruhelos, nomadisch, aufgewühlt.
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Pierre Joris im TNL
• The Gulf (Between You and Me)
• Pierre Joris / Gabriel
Jackson / Chris Jonas /
Gene Coleman• 23., 25. und 28. Oktober
• The Agony of I. B.
• Regie: Marion Poppenborg
• Mit: Sascha Ley, Nickel
Bösenberg und Fred Frenay• 14., 17., 18. und 21. Juni
Infos:
www.tnl.lu
www.pierrejoris.com___________________________________________
Die Flüchtlingsströme sind die Rettung Europas, findet er. Nur leider hätten das die wenigsten verstanden. „Das mit dem Nationalstaat haben wir versaut“, sagt er, „da müssen wir drüber hinwegkommen“. Die Lösung sei nunmal – er zitiert aus „Zeus hospitalier“ von René Scherer – die Invasion. „Vive donc l’invasion!“ Lasset die Zeit der Anderen kommen, das Einzige, was uns noch retten kann, ist die Vermischung, denn: „Die Wurzel allen Übels ist Reinheit“.
Größte Erfindung der Menschheit
Das gelte übrigens auch für die Literatur, für die Sprache, „die größte Erfindung des Menschen“. Pierre Joris wird sprachphilosophisch:
Es könne keine Reinheit, keine Durchsichtigkeit in der Sprache geben, zwischen dem Ding und dem Wort, das es zu nennen versucht, bleibe immer unüberbrückbarer Raum, Nomadenland. Ding und Wort haben nicht viel miteinander zu tun, das dürfe man niemals vergessen, denn sonst laufe man Gefahr, das Menschliche zu vereinfachen …
Das Übersetzen ermögliche den stärksten Fokus auf ein Sprachgebilde, sagt Pierre Joris. Schließlich versuche ein Übersetzer, ein Sprachgebilde in eine andere Sprache „einzumeißeln“. Bei den Gedichten von Celan zum Beispiel habe er versucht, „das Deutsche so ins Englische einzusetzen, wie der Hölderlin das Griechische ins Deutsche hineinschrieb“.
„Stärkste Ausdrucksform der Sprache“
Kein Wunder, dass jemand, der seine Arbeit als Übersetzer mit solchen Worten beschreibt, sich selbst in der Dichtung, als „stärkster Ausdrucksform der Sprache“, am Nächsten fühlt. „Die Form des Romans finde ich uninteressant. Warum soll ich Situationen oder Personen erfinden?“ Und deshalb liegt der einzige Roman, den Joris, damals in den sechziger Jahren als Student, in irgendeinem Hotel in Paris jemals geschrieben hat, bis heute unberührt in einer Schublade.
Und das Theater? Das ist ihm schon vertrauter. Vor allem, weil er sich dem Theater mithilfe seiner Dichtung nähern kann. „Wissen Sie, die amerikanische Poesie ist sehr unfranzösisch, ihre Sprache viel näher der gesprochenen Sprache und deshalb direkter, lebendiger, spontaner“. Alle seine Gedichte könne er laut vorlesen und vor seinen Studenten, mit denen er über die Notwendigkeit spreche, dass alle Dichtkunst nomadisch sein müsse, laufe er auch ständig herum. Das ähnele schon sehr einer Performance.
Auch im TNL wird Pierre Joris auf der Bühne zu sehen sein. Für das Stück „The Gulf (Between You and Me)“, ein Stück, das das Ölunglück Deep Water im mexikanischen Golf zum Ausgangspunkt hat. Eine Collage aus Text, Musik und Performance, die – davon ist auszugehen – die Grenzen des klassischen Theaters sprengen wird.
Frank Hoffmann wartet, und der Zug nach Paris und die Arbeit auch. Gesprächsfetzen hängen in der Luft, bis zum 23. Oktober, Pierre Joris!
(Janina Strötgen)